Nextcloud und Collabora: Das ungleiche Duo für die digitale Souveränität
Es ist eine Art stiller Exodus, der sich in den Rechenzentren und Serverräumen deutscher Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen abspielt. Während die großen US-Cloud-Giganten ihre Dienste immer enger verzahnen und die Bindung der Nutzer an ihre Ökosysteme verstärken, wächst im Hintergrund eine Alternative, die anders tickt. Nextcloud, die Open-Source-Plattform für File-Sharing und Kollaboration, hat sich längst vom reinen Dropbox-Ersatz zum ernstzunehmenden Arbeitswerkzeug gemausert. Doch die Krönung der Eigenständigkeit ist für viele die Integration einer vollwertigen Office-Suite – und hier kommt Collabora Online ins Spiel.
Die Kombination aus Nextclouds flexibler Infrastruktur und Collaboras leistungsfähiger Bürosoftware formt ein Paket, das eine seltene Mischung aus Kontrolle, Sicherheit und Funktionalität bietet. Dabei zeigt sich: Die beiden Projekte, obwohl sie aus unterschiedlichen Welten stammen, ergänzen sich auf eine Weise, die selbst eingefleischte Skeptiker von der Reife offener Alternativen überzeugen kann.
Vom Dateisilo zum Arbeitsplatz: Die Evolution der Nextcloud
Wer heute über Nextcloud spricht, macht einen Fehler, wenn er sie nur als „eine Art eigene Cloud“ abtut. Die Plattform hat eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Begonnen als Fork von ownCloud, hat sich Nextcloud unter der Führung von Gründer Frank Karlitschek zu einem der florierendsten Open-Source-Projekte im europäischen Raum entwickelt. Das Kernversprechen ist geblieben: die Hoheit über die eigenen Daten. Doch das Angebot ist um ein Vielfaches gewachsen.
Die Basis bildet nach wie vor der Dateimanager. Das Hochladen, Verwalten und Teilen von Dokumenten funktioniert intuitiv und stabil. Interessant wird es bei den Erweiterungen, die Nextcloud über seinen App-Store bereitstellt. Kalender, Kontakte, Aufgabenverwaltung, Videokonferenzen mit Nextcloud Talk, E-Mail-Lesesysteme – die Modulbauweise verwandelt die Software Schritt für Schritt in einen kompletten Kollaborationshub. Diese Modularität ist gleichzeitig Stärke und Herausforderung. Administratoren können ihren Nextcloud-Instanzen genau den Funktionsumfang verpassen, den sie benötigen, ohne Ballast mitzuschleppen. Das erfordert aber auch ein gewisses Maß an Planung und Konfiguration.
Ein zentraler Punkt, der Nextcloud für viele Organisationen attraktiv macht, ist die Unabhängigkeit vom Wohnort der Daten. Ob auf einem eigenen Server im Keller, in einem deutschen Rechenzentrum oder bei einem zertifizierten Hosting-Partner – die Daten bewegen sich innerhalb eines rechtlichen und geografischen Rahmens, den der Betreiber selbst definiert. Das ist nicht nur für den Datenschutz nach DSGVO ein entscheidendes Argument, sondern auch für die digitale Souveränität. Man gibt die Kontrolle nicht aus der Hand.
Collabora Online: Das Office, das nie allein arbeitet
Während Nextcloud aus der Welt der File-Sharing-Tools kommt, hat Collabora seine Wurzeln in einer der ältesten und bekanntesten Office-Suiten überhaupt: LibreOffice. Collabora, ein britisches Unternehmen, das maßgeblich an der Entwicklung von LibreOffice beteiligt ist, hat den Kern der Desktop-Suite genommen und für das Web fit gemacht. Herausgekommen ist Collabora Online, eine browserbasierte Office-Suite, die sich nahtlos in andere Anwendungen einbetten lässt.
Der technische Ansatz ist dabei entscheidend. Collabora Online ist keine komplett neu geschriebene Web-Anwendung. Stattdessen basiert sie auf der bewährten LibreOffice-Engine, die in einer sandboxed Umgebung läuft und über einen speziellen Adapter, den CoolWSD (Collabora Online WebSocket Daemon), mit dem Browser kommuniziert. Das hat einen großen Vorteil: Die Dateikompatibilität ist exzellent. Dokumente, die mit Microsoft Office erstellt wurden, öffnen sich in Collabora Online in der Regel formatgetreu, und umgekehrt funktioniert es ebenso. Das löst eines der größten historischen Probleme freier Office-Alternativen – den Kampf mit der Formatierung.
Für den Endnutzer fühlt sich die Oberfläche vertraut an. Das Ribbon-Interface, bekannt aus modernen Office-Versionen, ist auch hier zu finden. Die wichtigsten Funktionen für die Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und das Erstellen von Präsentationen sind vorhanden. Man merkt der Software an, dass sie für die echte Arbeitswelt gemacht ist. Es geht nicht darum, Microsoft Feature für Feature zu kopieren, sondern die essenziellen Werkzeuge bereitzustellen, die für die alltägliche Zusammenarbeit notwendig sind.
Die Symbiose: Wenn sich Plattform und Suite treffen
Die eigentliche Magie entfaltet sich, wenn Nextcloud und Collabora Online zusammenkommen. Die Integration erfolgt über eine Nextcloud-App, die den Collabora-Server mit der Nextcloud-Instanz verbindet. Von diesem Moment an verwandelt sich die Nextcloud von einem reinen Ablagesystem in einen lebendigen Arbeitsraum.
Doppelklickt ein Nutzer auf eine .docx-, .xlsx- oder .pptx-Datei in seinem Nextcloud-Laufwerk, öffnet sich das Dokument nicht zum Download, sondern direkt im Browser-Fenster in der vertrauten Collabora-Oberfläche. Der entscheidende Unterschied zu Desktop-Office ist die Echtzeit-Kollaboration. Mehrere Benutzer können gleichzeitig an einem Dokument arbeiten. Ihre Cursor sind sichtbar, Änderungen erscheinen in Echtzeit, und ein integrierter Chat ermöglicht die direkte Absprache. Das ist ein Funktionsniveau, das man sonst nur von Google Workspace oder Microsoft 365 kennt – mit dem fundamentalen Unterschied, dass die gesamte Infrastruktur selbst betrieben wird.
Für Administratoren ist diese Konstellation ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite erfüllt sie den Traum einer vollständig souveränen Kollaborationsplattform. Auf der anderen Seite bringt sie eine gewisse Komplexität mit sich. Man betreibt nicht mehr nur eine Nextcloud-Instanz, sondern auch den Collabora-Server. Dieser kann entweder auf demselben Server laufen (für kleinere Installationen) oder, was performance-technisch empfehlenswert ist, auf einem separaten Host. Die Container-basierte Bereitstellung mittels Docker hat sich hier als praktikabler Standard etabliert.
Praxistest: Alltagstauglichkeit unter der Lupe
Wie schlägt sich das Duo im täglichen Einsatz? In der Praxis überzeugt die Kombination vor allem durch ihre Stabilität und Zuverlässigkeit. Die Bearbeitung von Standard-Dokumenten funktioniert reibungslos. Die Performance hängt natürlich stark von der zugrundeliegenden Hardware ab, insbesondere vom verfügbaren Arbeitsspeicher für den Collabora-Server. Bei rechenintensiven Operationen, zum Beispiel in großen Tabellen mit komplexen Formeln, kann es im Vergleich zu einer lokalen Desktop-Anwendung zu spürbaren Verzögerungen kommen. Das ist aber ein typischer Kompromiss bei webbasierten Lösungen.
Ein interessanter Aspekt ist die Skalierbarkeit. Für eine kleine Firma mit zehn Mitarbeitern reicht eine vergleichsweise bescheidene Virtual Machine aus. Große Organisationen, wie Universitäten oder Kommunalverwaltungen mit tausenden von Nutzern, setzen auf skalierbare Cluster-Lösungen. Collabora bietet hierfür eine spezielle Enterprise-Version mit erweiterten Skalierungs- und High-Availability-Features an. Nextcloud selbst profitiert von einer ausgereiften Cluster-Unterstützung, die den Betrieb großer, hochverfügbarer Installationen ermöglicht.
Wo liegen die Grenzen? Anwender, die auf hochspezialisierte Funktionen von Microsoft Excel oder auf komplexe Makros angewiesen sind, werden an ihre Grenzen stoßen. Collabora Online unterstützt zwar einen Großteil der gängigen Excel-Funktionen, aber nicht die gesamte Tiefe der Microsoft-Lösung. Für 80 bis 90 Prozent aller Office-Anwendungen ist die Funktionalität jedoch mehr als ausreichend. Bei Formatierungen kann es gelegentlich zu kleinen Abweichungen kommen, der Austausch von Standarddokumenten klappt aber in der Praxis erstaunlich gut.
Sicherheit und Datenschutz: Das fundamentale Argument
Jede technische Diskussion über Nextcloud und Collabora landet früher oder später bei den Themen Sicherheit und Datenschutz. Und das ist auch der Bereich, in dem die Lösung ihren größten Wettbewerbsvorteil hat. Da beide Komponenten auf eigener Infrastruktur laufen, verlassen vertrauliche Dokumente das Unternehmensnetzwerk nicht. Es gibt keine Weitergabe an Dritte, keine Datenverarbeitung in unbekannten Rechenzentren, keine Abhängigkeit von US-Konzernen und deren sich ändernden Geschäftsbedingungen.
Nextcloud hat einen starken Fokus auf Sicherheitsfeatures gelegt. Dazu gehören eine Zwei-Faktor-Authentifizierung, verschlüsselte Verbindungen, eine granulare Rechteverwaltung auf Dateiebene und eine Versionierung von Dokumenten, die es ermöglicht, auch nach Ransomware-Angriffen auf frühere Versionen einer Datei zurückzugreifen. Die Nextcloud-Community und das Sicherheitsteam reagieren zügig auf gefundene Schwachstellen und veröffentlichen regelmäßig Sicherheitsupdates.
Collabora profitiert von der jahrzehntelangen Härtung der LibreOffice-Engine. Da die Dokumentbearbeitung serverseitig in einer kontrollierten Umgebung stattfindet, sind Endnutzer weniger anfällig für Schadcode, der in Office-Dokumenten versteckt sein könnte. Nicht zuletzt ermöglicht die On-Premises-Installation die Integration in bestehende Sicherheitsinfrastrukturen wie Firewalls, Intrusion-Detection-Systeme und Log-Management-Lösungen.
Die Kehrseite der Medaille: Aufwand und Wartung
Die Freiheit, seine eigene Cloud zu betreiben, hat ihren Preis – und der heißt Verantwortung. Wer sich für Nextcloud und Collabora entscheidet, übernimmt die komplette operative Verantwortung für den Betrieb, die Überwachung, die Backups und die Updates. Das erfordert internes Know-how oder die Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Dienstleister.
Die Einrichtung ist heute zwar deutlich einfacher als noch vor einigen Jahren, dank vorgefertigter Docker-Container und detaillierter Installationsanleitungen, aber sie ist nicht mit einem Klick erledigt. Konfigurationsfehler, Performance-Probleme und Update-Konflikte können vorkommen und müssen gelöst werden. Für IT-Abteilungen, die bereits mit Virtualisierung und Container-Technologien vertraut sind, ist der Einstieg jedoch gut zu schaffen.
Ein weiterer Punkt sind die Kosten. Die Software selbst ist Open Source und kann kostenlos genutzt werden. Die wirklichen Kosten verstecken sich in der Hardware und dem Personaleinsatz für den Betrieb. Hier lohnt sich eine nüchterne Betrachtung: Die Gesamtbetriebskosten (TCO) einer eigenen Nextcloud/Collabora-Installation können durchaus höher liegen als die Lizenzkosten für ein kommerzielles Cloud-Angebot. Der Gegenwert ist dafür die maximale Kontrolle und Unabhängigkeit. Für viele Organisationen ist das keine Kostenfrage, sondern eine strategische Entscheidung.
Zukunftsperspektiven: Wohin entwickelt sich das Duo?
Die Roadmaps von Nextcloud und Collabora deuten auf eine weiter vertiefte Integration und neue Funktionalitäten hin. Nextcloud arbeitet kontinuierlich an der Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit und der Performance. Themen wie Künstliche Intelligenz zur automatischen Kategorisierung von Inhalten oder erweiterte Suchfunktionen werden auch für die Open-Source-Welt immer relevanter.
Collabora treibt die Verbesserung der Kompatibilität mit Microsoft-Formaten weiter voran und arbeitet an der Performance, insbesondere bei großen Dokumenten. Auch die Mobile-Experience wird stetig verbessert. Die Entwicklung hin zu einer nahtlosen Zusammenarbeit zwischen browserbasierten und nativen Desktop-Anwendungen (LibreOffice) ist ein spannendes Feld.
Ein interessanter Aspekt ist die wachsende Vernetzung mit anderen Open-Source-Projekten. Nextcloud lässt sich beispielsweise ausgezeichnet mit anderen Plattformen wie Matrix für den Messaging-Bereich oder OnlyOffice, einer alternativen Office-Suite, integrieren. Dieses Ökosystem- Denken stärkt die Position der freien Software insgesamt und bietet Anwendern echte Wahlmöglichkeiten.
Fazit: Eine ausgereifte Alternative für bewusste Entscheider
Nextcloud in Kombination mit Collabora Online ist keine Nischenlösung für Idealisten mehr. Es handelt sich um eine ausgereifte, enterprise-taugliche Plattform, die den Vergleich mit den großen kommerziellen Cloud-Angeboten nicht zu scheuen braucht. Ihre Stärken spielt sie genau dort aus, wo die Cloud-Giganten Schwächen haben: bei der Datenhoheit, dem Datenschutz und der flexiblen Anpassbarkeit.
Die Entscheidung für oder gegen diese Lösung ist letztlich eine Frage der Prioritäten. Wer maximale Bequemlichkeit und einen allumfassenden Funktionsumfang sucht und dabei bereit ist, die Kontrolle über seine Daten abzugeben, ist bei den etablierten Anbietern vielleicht besser aufgehoben. Für alle, die Wert auf digitale Souveränität legen, die Compliance-Anforderungen einhalten müssen oder schlichtweg nicht von einem einzelnen Anbieter abhängig sein wollen, ist Nextcloud mit Collabora eine der überzeugendsten Optionen auf dem Markt.
Es ist ein Stück technologische Emanzipation, das mit etwas Aufwand verbunden ist, aber am Ende ein unschätzbares Gut zurückgibt: die Freiheit, die eigenen Daten und Arbeitsprozesse selbst zu bestimmen. In einer Zeit, in der digitale Abhängigkeiten zunehmend als strategisches Risiko erkannt werden, ist das mehr wert denn je.