Nextcloud: Was die eigene Datenhoheit wirklich kostet
Eine nüchterne Betrachtung jenseits der Community-Euphorie und Enterprise-Versprechen
Es ist ein verlockendes Versprechen: Die Kontrolle über die eigenen Daten zurückgewinnen, unabhängig sein von US-Cloud-Giganten, Collaboration-Tools selbst betreiben. Nextcloud steht wie kaum eine andere Software für diese Vision. Doch zwischen der kostenlosen Community-Version und den Enterprise-Angeboten klafft eine Lücke, die viele Unternehmen unterschätzen. Nicht der Lizenzpreis ist die größte Hürde, sondern der Aufwand für Betrieb, Wartung und Integration.
Dabei zeigt sich in Gesprächen mit Administratoren und Entscheidern ein klares Bild: Die initiale Begeisterung für die „kostenlose“ Alternative weicht oft einer nüchternden Realität. Nextcloud ist kein Dropbox-Ersatz, sondern eine komplexe Plattform, deren wahre Kosten sich erst im Betrieb offenbaren.
Das Preismodell: Mehr als nur Lizenzen
Nextcloud operiert mit einem dualen Lizenzmodell. Die Community Edition steht unter AGPLv3 und ist tatsächlich kostenlos – zumindest was die Nutzung angeht. Die Enterprise-Varianten hingegen sind kostenpflichtig und richten sich an Unternehmen, die Support, erweiterte Funktionen und vor allem Rechtssicherheit benötigen.
Die aktuellen Listenpreise für Nextcloud Enterprise liegen bei etwa 50 Euro pro Benutzer und Jahr für die Basis-Version „File Sync and Share“. Die erweiterte „Enterprise Collaboration“ Variante kostet rund 85 Euro. Dabei gibt es Mindestabnahmen – meist ab 50 oder 100 Nutzern – und Rabatte bei Volumen.
Doch diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Interessant wird es bei den versteckten Kosten: Ein mittelständisches Unternehmen mit 200 Mitarbeitern muss für Lizenzen mit 10.000 bis 17.000 Euro jährlich rechnen. Der wahre Aufwand beginnt jedoch erst danach.
Die Rechenexempel: Von der Theorie zur Praxis
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Ein mittelständischer Maschinenbauer mit 150 Mitarbeitern möchte von einer Mischung aus Dropbox, Google Workspace und lokalen Netzwerklaufwerken auf Nextcloud umsteigen. Die Motivation: Datenschutz, Consolidation und langfristige Kostenkontrolle.
Für die Enterprise-Lizenzen entstehen jährliche Kosten von etwa 7.500 Euro. Dazu kommen jedoch:
- Server-Infrastruktur: 15.000 Euro Anschaffung (redundante Systeme)
- Wartung und Updates: 2 Tage pro Monat à 800 Euro = 19.200 Euro jährlich
- Storage-Kosten: 5.000 Euro jährlich für Backups und Archivierung
- Integration in bestehende Systeme: Einmalig 10.000 Euro
In der Summe ergibt sich im ersten Jahr eine Belastung von über 56.000 Euro, in den Folgejahren etwa 32.000 Euro. Umgerechnet auf die Mitarbeiter: 213 Euro pro Kopf und Jahr. Nicht wenig, aber immer noch günstiger als viele kommerzielle Cloud-Angebote – wenn man die Kontrolle über die Daten mit einpreist.
Ein interessanter Aspekt ist die Skalierung: Während bei SaaS-Lösungen die Kosten linear mit der Nutzerzahl steigen, sinken bei Nextcloud die relativen Betriebskosten mit zunehmender Größe. Ab 500 Nutzern wird die Eigenlösung häufig wirtschaftlich attraktiver.
Community vs. Enterprise: Der Support macht den Unterschied
Viele Unternehmen starten mit der Community Edition – und scheitern nicht an der Software, sondern am fehlenden Support. „Ohne dedizierte Administratoren-Ressourcen wird es schnell riskant“, warnt ein IT-Leiter aus dem Gesundheitswesen, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Die Enterprise-Lizenzen bieten nicht nur professionellen Support, sondern vor allem:
- Rechtssicherheit durch klare Haftungsregelungen
- Zugang zu Sicherheitsupdates vor der Community
- Erweiterte Monitoring- und Management-Tools
- Offizielle Integrationen in bestehende Enterprise-Infrastrukturen
Dabei zeigt sich in der Praxis: Die Entscheidung für Enterprise wird selten aus technischen, sondern aus Compliance-Gründen getroffen. Besonders im öffentlichen Sektor oder bei Unternehmen mit strengen Regulatorien ist die Community Edition oft keine Option.
Die versteckten Kostenfaktoren
Nextcloud ist modular aufgebaut – und genau hier lauern Überraschungen. Jedes zusätzliche Plugin, jede Integration verursacht Wartungsaufwand. Besonders die Collaboration-Features wie Talk, Deck oder Groupware erfordern signifikant mehr Ressourcen.
Ein häufig unterschätzter Faktor ist die Performance: Nextcloud ist eine PHP-Anwendung, die stark von der zugrundeliegenden Infrastruktur profitiert. Ohne optimierte Datenbank, Caching und ausreichend RAM kann selbst eine kleine Installation zur Last werden.
Nicht zuletzt spielt die Migration bestehender Daten eine Rolle. Der Umstieg von etablierten Cloud-Diensten erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch Schulungsaufwand und Akzeptanzmanagement bei den Mitarbeitern.
Hosting-Entscheidung: On-Premises vs. Gehostet
Nextcloud kann on-premises betrieben werden oder bei einem der zahlreichen Hosting-Anbieter. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Kostenstruktur.
On-premises bedeutet Kontrolle, aber auch Kapitalbindung und Personalaufwand. Gehostete Lösungen starten bei 5-10 Euro pro Nutzer und Monat, bieten dafür aber Rundum-Service. Für viele mittelständische Unternehmen ist der Mittelweg attraktiv: Nextcloud bei einem europäischen Provider hosten, der die Infrastruktur verwaltet, während die Applikation selbst im eigenen Verantwortungsbereich bleibt.
Interessant ist der Vergleich zu Microsoft 365: Bei vergleichbarem Funktionsumfang liegt Nextcloud in der Hosting-Variante oft im gleichen Preissegment – aber mit dem entscheidenden Unterschied der Datenhoheit.
Return on Investment: Mehr als nur Geld
Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung bei Nextcloud muss anders ausfallen als bei standardisierter Software. Der ROI zeigt sich nicht nur in reduzierten Lizenzkosten, sondern auch in:
- Geringerer Abhängigkeit von einzelnen Anbietern
- Besseren Compliance-Eigenschaften
- Flexiblerer Anpassbarkeit an Geschäftsprozesse
- Längerfristig stabileren Kosten
Ein CIO aus dem Bildungsbereich bringt es auf den Punkt: „Wir zahlen vielleicht etwas mehr als für Google Workspace, aber wir wissen genau, wo unsere Daten sind und wer darauf Zugriff hat. Das ist uns den Aufwand wert.“
Die Zukunft: Nextcloud im Enterprise-Umfeld
Nextcloud entwickelt sich stetig weiter – und mit ihr die Preismodelle. Die Einführung von KI-Funktionen, erweiterte Security-Features und bessere Integrationen in Enterprise-Umgebungen treiben die Entwicklung voran.
Gleichzeitig wächst der Druck auf die Preise. Im öffentlichen Sektor haben sich Rabatte von bis zu 50 Prozent etabliert, während im kommerziellen Bereich individuelle Verhandlungen üblich sind.
Für Unternehmen, die den Schritt wagen, bleibt eine Erkenntnis: Nextcloud ist keine kostengünstige Alternative, sondern eine Investition in digitale Souveränität. Der Preis dafür ist hoch – aber für viele berechtigt.