Nextcloud vs. OwnCloud: Wie eine Abspaltung zwei Welten schuf

Nextcloud vs. OwnCloud: Der ungleiche Weg der Open-Source-Clouds

Was als gemeinsame Vision für eine freie Alternative zu Dropbox & Co. begann, ist heute eine Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Projekte. Eine Bestandsaufnahme aus technischer und strategischer Perspektive.

Es ist eine der bemerkenswertesten Spaltungen in der jüngeren Geschichte der Open-Source-Software. Vor mittlerweile über sieben Jahren verließen die Gründer des OwnCloud-Projekts, angeführt von Frank Karlitschek, ihre eigene Schöpfung, um mit Nextcloud einen radikal anderen Weg einzuschlagen. Was auf den ersten Blick wie eine interne Machtverschiebung wirkte, entpuppte sich als fundamentale Weichenstellung für die Zukunft dezentraler Kollaborationsplattformen.

Heute, mit dem nötigen Abstand, lässt sich sagen: Die Trennung war nicht nur personell, sondern vor allem philosophisch. Während OwnCloud den Weg einer stärker kommerzialisierten, an Enterprise-Kunden orientierten Lösung weiterverfolgte, setzte Nextcloud von Anfang an auf eine offenere Community, eine aggressivere Erweiterung der Funktionspalette und eine tiefere Integration in bestehende Open-Source-Ökosysteme. Die Folge ist ein heute deutlich größerer Marktanteil und eine lebendigere Community um Nextcloud.

Die Wurzeln: Eine gemeinsame Vision zerbricht

Um die Gegenwart zu verstehen, lohnt ein kurzer Blick in die Vergangenheit. OwnCloud startete 2010 mit dem ehrgeizigen Ziel, eine datensouveräne Alternative zu den aufkeimenden US-amerikanischen Cloud-Speicherdiensten zu schaffen. Die Software fand schnell Anklang, insbesondere in Bildungseinrichtungen, Behörden und bei Unternehmen mit hohen Datenschutzanforderungen. Doch mit dem Wachstum kamen auch die Konflikte.

Der zentrale Streitpunkt drehte sich um das Verhältnis zwischen der quelloffenen Community-Edition und der kommerziellen Enterprise-Variante. Kritiker, darunter die späteren Nextcloud-Gründer, warfen dem OwnCloud-Unternehmen vor, wichtige Funktionen und Innovationen bewusst in der kostenpflichtigen Version zurückzuhalten, um den Verkauf von Lizenzen zu fördern. Dies wurde als Bruch mit dem Geist echter Open-Source-Entwicklung empfunden, bei der die Community-Edition die vollwertige Basis darstellen sollte.

Im Juni 2016 war die Kluft unüberbrückbar. Karlitschek und eine Reihe weiterer Kernentwickler verließen OwnCloud, um praktisch ohne Übergangsphase Nextcloud zu gründen. Der Schritt war spektakulär, denn sie nahmen nicht nur das Know-how, sondern auch einen großen Teil der Community mit. Innerhalb kürzester Zeit wurde der eigene Codebase aufgesetzt und weiterentwickelt, während OwnCloud zurückblieb und sich neu organisieren musste.

Philosophie und Lizenzmodell: Der Geist macht den Unterschied

Dieser historische Kontext prägt bis heute die grundlegende Ausrichtung beider Projekte. Nextcloud betreibt eine Art „Open Source First“-Politik. Fast alle Funktionen, inklusive solcher, die bei der Konkurrenz hinter einer Paywall verschwinden, sind in der frei verfügbaren Version enthalten. Das Geschäftsmodell des Unternehmens Nextcloud GmbH basiert primär auf Support, Hosting, Integrationsleistungen und speziellem Enterprise-Support – nicht auf der Lizenzierung exklusiver Softwarefeatures.

OwnCloud dagegen pflegt ein klassischeres „Open Core“-Modell. Die Community-Edition dient als Basis, die um enterprise-spezifische Funktionen wie erweiterte Sicherheitsaudits, Compliance-Tools oder bestimmte Integrationen in kommerzielle Verzeichnisdienste erweitert wird. Diese Zusatzfeatures sind Teil der kostenpflichtigen OwnCloud Enterprise Edition.

Für Administratoren bedeutet das: Mit Nextcloud erhält man eine nahezu vollständige Plattform, die auch im Community-Support betrieben werden kann. Bei OwnCloud stößt man schneller an Grenzen, die den Erwerb einer Enterprise-Lizenz nahelegen, wenn man bestimmte professionelle Anforderungen hat. Nicht zuletzt ist dies eine Frage der Philosophie. Welches Modell man bevorzugt, hängt auch davon ab, wie man die Nachhaltigkeit von Open-Source-Projekten bewertet.

Technische Architektur und Performance

Unter der Haube haben sich die Codebasen mittlerweile deutlich auseinanderentwickelt. Beide basieren zwar auf dem LAMP-Stack (Linux, Apache, MySQL/PHP), aber die Implementierungsdetails und Schwerpunkte unterscheiden sich.

Dateisynchronisation und Skalierbarkeit

Die Kernaufgabe – die Dateisynchronisation – lösen beide solide. Der Nextcloud-Client gilt in der Community jedoch als etwas reifer und stabiler, was auch an der intensiveren Testarbeit durch eine größere Nutzerbasis liegen mag. Ein interessanter Aspekt ist die Skalierbarkeit bei sehr großen Installationen mit Millionen von Dateien. Nextcloud hat hier mit der Einführung von „Deck“ und der Verbesserung der Datenbankabfragen stark nachgelegt. Die Verwendung von Redis für Caching und Sitzungsverwaltung ist bei beiden Standard, aber Nextcloud bietet oft feinere Konfigurationsmöglichkeiten.

OwnCloud setzt stärker auf Stabilität in homogenen Enterprise-Umgebungen, während Nextcloud auch heterogenere Szenarien, etwa mit objektbasiertem Speicher wie S3 oder Swift, aggressiver unterstützt. Die Integration von Externen Speichern ist bei Nextcloud oft flexibler.

Erweiterbarkeit durch Apps

Der vielleicht größte Unterschied zeigt sich im App-Ökosystem. Nextcloud hat den Funktionsumfang seiner Plattform explosionsartig erweitert. Es ist längst nicht mehr nur ein Datei-Sync-and-Share-Dienst, sondern eine vollwertige Kollaborationsplattform.

  • Nextcloud Talk: Ein integrierter Video-Conferencing-Server mit Screen-Sharing, Umfragen und Chats, der Jitsi & Co. Konkurrenz macht.
  • Nextcloud Deck: Ein Kanban-Board für Projektmanagement, ähnlich Trello.
  • Nextcloud Mail, Calendar und Contacts: Vollwertige Groupware-Komponenten, die direkt in die Oberfläche integriert sind.
  • OnlyOffice / Collabora Online Integration: Für die Echtzeit-Bearbeitung von Office-Dokumenten direkt im Browser.

Viele dieser Apps sind bei Nextcloud standardmäßig verfügbar oder lassen sich mit wenigen Klicks aus dem integrierten App-Store nachinstallieren. Bei OwnCloud ist das Ökosystem schlanker und fokussiert sich stärker auf den Kernbereich File-Sharing. Zwar gibt es auch hier Erweiterungen, aber der Umfang und die Innovationsgeschwindigkeit sind geringer. Für Unternehmen, die eine reine File-Sharing-Lösung suchen, mag das ausreichen. Wer jedoch eine All-in-One-Plattform anstrebt, wird von Nextcloud deutlich mehr geboten bekommen.

Sicherheit und Datenschutz: Ein knappes Rennen

In puncto Sicherheit stehen beide Projekte gut da. Beide Teams pflegen eine hohe Sensibilität für Sicherheitslücken und veröffentlichen regelmäßig und transparent Sicherheitsupdates. Nextcloud betreibt sogar ein eigenes Security-Team, das proaktiv nach Schwachstellen sucht und ein Bug-Bounty-Programm unterhält.

Ein kleiner, aber feiner Vorteil von Nextcloud ist die stärkere Fokussierung auf datenschutzfreundliche Standardeinstellungen. Funktionen wie die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für Dateien, die zwar beide anbieten, sind bei Nextcloud prominenter platziert und einfacher zu aktivieren. Zudem gibt es eine Reihe von Privacy-fokussierten Apps, wie die Anonymisierung von Metadaten.

OwnCloud hingegen argumentiert, dass seine Enterprise-Version durch strengere, kommerzielle Audits gehe und damit für hochregulierte Branchen die bessere Wahl sei. In der Praxis dürfte die Sicherheit beider Systeme bei sachgemäßer Konfiguration und zeitnaher Aktualisierung jedoch auf einem sehr ähnlichen, hohen Niveau liegen. Der Faktor Mensch – also der Administrator – ist hier entscheidender als die minimale technische Differenz.

Community und Unternehmenssupport

Hier hat Nextcloud einen klaren Vorteil erringen können. Die Community ist nicht nur quantitativ größer, sondern auch aktiver. Das zeigt sich in Foren, auf GitHub, in der Anzahl der Beiträge und der Geschwindigkeit, mit der Fehler behoben und Pull-Requests bearbeitet werden. Die monatlichen Nextcloud-Konferenzen sind gut besuchte, internationale Events.

Für Unternehmen ist jedoch nicht nur die Community, sondern auch der professionelle Support entscheidend. Beide Unternehmen – die Nextcloud GmbH und die ownCloud GmbH – bieten Enterprise-Supportverträge an. Die Nextcloud GmbH ist hier finanziell stärker aufgestellt und hat eine breitere Kundenbasis, die von KMUs bis hin zu Großkonzernen und europäischen Behörden reicht. Die ownCloud GmbH konzentriert sich stärker auf einen engeren Kreis von Enterprise-Kunden.

Für öffentliche Ausschreibungen in Europa, insbesondere in Deutschland, ist Nextcloud mittlerweile de facto der Standard. Große Projekte wie die Migration der französischen Bildungscloud oder die Nutzung in deutschen Bundesbehörden gingen an Nextcloud. Dieses Vertrauen in kritische Infrastrukturen spricht Bände.

Migration und Interoperabilität

Für bestehende OwnCloud-Nutzer stellt sich die Frage nach einem Wechsel. Eine Migration von OwnCloud zu Nextcloud ist vergleichsweise unkompliziert, da die Systeme strukturell verwandt sind. Es existieren sogar offizielle Migrationsanleitungen, die einen schrittweisen Umzug beschreiben. Die größte Hürde sind hier oft nicht die Dateien selbst, sondern die Konfiguration und die angepassten Apps.

Beide Systeme unterstützen wichtige offene Standards, die Interoperabilität gewährleisten:

  • WebDAV: Für den Dateizugriff von Desktop-Clients und mobilen Geräten.
  • CalDAV und CardDAV: Für Kalender- und Kontaktsynchronisation.
  • OpenID Connect (OAuth 2): Für die Authentifizierung.

Nextcloud geht hier oft einen Schritt weiter, etwa durch die native Unterstützung für das modernere und leistungsfähigere Delta-Sync-Protokoll für effizientere Synchronisation oder eine bessere Integration in SAML-/Shibboleth-Umgebungen.

Fazit: Wann welche Lösung die bessere Wahl ist

Die Entscheidung zwischen Nextcloud und OwnCloud ist heute weniger eine Frage der technischen Überlegenheit im Kern, sondern eine der strategischen Ausrichtung und der gewünschten Funktionsbreite.

Nextcloud ist die Empfehlung, wenn Sie:

  • Eine umfassende Kollaborationsplattform jenseits von reinem File-Sharing suchen.
  • Wert auf eine große, aktive Community und schnelle Innovationszyklen legen.
  • Ein „True Open Source“-Modell ohne künstliche Feature-Beschränkungen bevorzugen.
  • In großen, auch heterogenen Infrastrukturen skalieren müssen.
  • Videokonferenzen, Projektmanagement und Office-Integration out-of-the-box benötigen.

OwnCloud könnte eine Überlegung wert sein, wenn Sie:

  • Eine bewährte, stabile und schlanke File-Sharing-Lösung für ein klassisches Enterprise-Umfeld suchen.
  • Mit dem „Open Core“-Modell einverstanden sind und spezifische Enterprise-Features benötigen, die nur in der Lizenzversion enthalten sind.
  • Eine bestehende OwnCloud-Installation haben und keine Notwendigkeit für die erweiterte Funktionspalette von Nextcloud sehen.

Die Dynamik der letzten Jahre spricht eine klare Sprache. Nextcloud hat es geschafft, den Puls der Zeit zu treffen und sich von einem reinen Dropbox-Ersatz zu einer ernstzunehmenden Alternative zu Google Workspace und Microsoft 365 zu entwickeln – natürlich innerhalb der eigenen, datensouveränen Infrastruktur. OwnCloud ist dagegen ein solider, wenn auch etwas konservativerer Spezialist geblieben.

Für die allermeisten neuen Projekte, insbesondere wenn sie auf Wachstum und Erweiterbarkeit ausgelegt sind, fällt die Entscheidung heute recht klar auf Nextcloud. Die breitere Akzeptanz, das lebendigere Ökosystem und die kompromisslos offene Philosophie haben dem Projekt einen Vorsprung verschafft, der nur schwer aufzuholen ist. Die Abspaltung von damals hat der Welt letztendlich zwei Wahlmöglichkeiten beschert – und eine davon hat sich als überraschend zukunftsträchtig erwiesen.