Nextcloud & Really Simple Systems: Souveräne IT jenseits der Cloud-Giganten

Nextcloud und Really Simple Systems: Eine pragmatische Symbiose jenseits der Cloud-Giganten

Die Kombination aus einer selbstkontrollierten Collaboration-Plattform und einem schlanken CRM-System bietet Unternehmen eine überraschend robuste Alternative zu den omnipräsenten SaaS-Monolithen. Wir beleuchten die technischen Schnittstellen, betrieblichen Implikationen und den strategischen Mehrwert dieser Open-Source-Allianz.

Wer heute über digitale Infrastruktur spricht, landet fast unweigerlich bei den großen Hyperscalern. Doch in den Rechenzentren und Serverräumen vieler mittelständischer Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen tickt ein anderer Puls. Hier hat sich Nextcloud, einst aus einer einfachen File-Sync-and-Share-Idee entsprungen, zu einem vollwertigen Collaboration-Hub gemausert. Parallel dazu suchten viele dieser Organisationen nach einer schlanken, aber effektiven Möglichkeit, Kundendaten zu verwalten – ohne das übermächtige Salesforce oder das komplexe Suite-CRM. Really Simple Systems, ein cloudbasiertes CRM, das seinen Namen ernst nimmt, stieg hier zum Geheimtipp auf.

Die interessante Frage ist nun nicht, ob man die eine oder andere Lösung nutzt. Sondern was passiert, wenn man sie zusammenführt. Eine selbstgehostete Nextcloud-Instanz, die die Hoheit über die eigenen Daten garantiert, trifft auf ein fokussiertes, extern gehostetes CRM, das die Vertriebsprozesse strafft. Auf den ersten Blick eine ungleiche Paarung. Bei genauerem Hinsehen jedoch ergibt sich ein Bild von erstaunlicher Kohärenz und strategischer Flexibilität, das den oft beschworenen Lock-in-Effekt der großen Plattformen geschickt unterläuft.

Nextcloud: Vom Dateisilo zum souveränen Arbeitsraum

Nextcloud wird oft noch auf seine Kernfunktion reduziert: Dateien synchronisieren und teilen, ähnlich wie Dropbox. Das greift heute entschieden zu kurz. Die Plattform hat sich zu einem modularen Ökosystem entwickelt, das nahezu alle Aspekte digitaler Zusammenarbeit abdeckt. Über sogenannte Apps integrieren sich Kalender und Kontakte (via CalDAV/CardDAV), Video-Konferenzen mit Talk, Dokumentenbearbeitung mit Collabora Online oder OnlyOffice, Projektmanagement-Tools, E-Mail-Clients und vieles mehr. Die Architektur ist dabei entscheidend. Jede dieser Erweiterungen läuft innerhalb der gleichen Instanz, teilt die gleiche Benutzerverwaltung und – wichtig – speichert die Daten an dem Ort, den der Betreiber festlegt.

Ein interessanter Aspekt ist die Performanz- und Skalierbarkeitsdebatte. Die reine Out-of-the-Box-Installation kann bei hoher Last ins Stocken geraten. Doch mit etwas Feintuning – Caching mittels Redis, optimierter Datenbank-Konfiguration (MySQL/MariaDB oder PostgreSQL) und einem leistungsfähigen PHP-Opcache – verwandelt sich Nextcloud in ein äußerst stabiles Arbeitstier. Die Community und der kommerzielle Zweig Nextcloud GmbH liefern hierzu umfangreiche Dokumentation. Man muss es nur machen. Das ist der Preis der Souveränität: Man erlangt Kontrolle, muss sich aber auch um die Details kümmern.

Die Sicherheitsarchitektur von Nextcloud ist bemerkenswert durchdacht. Neben der obligatorischen Zwei-Faktor-Authentifizierung und verschlüsselter Kommunikation (TLS) bietet die Server-side Encryption (SSE) einen zusätzlichen Schutzschild. Dabei werden Dateien nicht erst auf dem Client, sondern bereits auf dem Server verschlüsselt gespeichert. Das schützt vor neugierigen Blicken selbst dann, wenn jemand physischen Zugang zum Speichermedium erlangt. Allerdings: Der Schlüssel liegt standardmäßig auf demselben Server. Für ein Höchstmaß an Sicherheit empfiehlt sich das experimentelle, aber vielversprechende External Storage Support Feature, das die Schlüsselhaltung auslagern kann. Ein fortwährender Balanceakt zwischen Praktikabilität und Paranoia.

Really Simple Systems: Das Anti-Monster-CRM

Während Nextcloud im eigenen Rechenzentrum wohnt, kommt Really Simple Systems (RSS) aus der Cloud. Die Philosophie des britischen Anbieters ist radikal simpel: ein CRM, das sich in unter einer Stunde einrichten lässt und das kleine bis mittlere Vertriebsteams bei ihren Kernaufgaben unterstützt, ohne sie mit hunderten unnötigen Features zu erschlagen. Die Oberfläche ist klar, die Logik intuitiv. Es geht um Lead-Management, Sales Pipeline, Kampagnen und Customer Service – nicht um hochkomplexe Workflow-Engineering oder omnikanale Customer-Journey-Analysen.

Für viele IT-Administratoren, die vor der Aufgabe stehen, ein CRM für ihre Kollegen aus Vertrieb und Marketing bereitzustellen, ist das ein Segen. Die Einführung scheitert selten an der Technik, sondern an der Akzeptanz der Anwender. Ein überladenes System wird einfach umgangen, die Datenqualität leidet. RSS setzt auf niedrige Einstiegshürden. Die Preismodelle sind transparent und orientieren sich an der Anzahl der Nutzer und Kontakte, nicht an undurchsichtigen „Editionen“.

Technisch basiert RSS auf einer klassischen, aber robusten LAMP-ähnlichen Stack-Architektur und bietet eine vollständige REST-API. Diese API ist der Schlüssel zur Welt. Sie erlaubt es, Daten nicht nur auszulesen, sondern auch zu schreiben. Damit öffnet sich die Tür für Automatisierungen, die über die mitgelieferten Funktionen hinausgehen. Man kann etwa Leads aus einem Webformular direkt im CRM anlegen oder Kundendaten für andere Prozesse exportieren. Die Stabilität des Services ist beachtlich, Ausfallzeiten sind selten. Man merkt, dass sich das Unternehmen auf einen zuverlässigen Betrieb konzentriert, statt in einen Funktions-Wettlauf mit den Riesen zu treten.

Die Schnittstelle: Wo Nextcloud und RSS sich die Hand reichen

Die naheliegendste Integration ist die Synchronisation von Kontakten und Kalendern. Nextcloud bietet exzellente Groupware-Funktionen. Die Idee: Die im CRM gepflegten Kontakte (Kunden, Leads, Partner) stehen automatisch auch im Adressbuch der Nextcloud zur Verfügung. So kann ein Vertriebler direkt aus seiner Mail-Umgebung in Nextcloud (oder einem daran angebundenen Client wie Thunderbird oder Outlook) den richtigen Ansprechpartner auswählen, ohne manuell suchen oder doppelt pflegen zu müssen.

Umsetzen lässt sich dies über die CardDAV- und CalDAV-Schnittstellen von Nextcloud. Really Simple Systems unterstützt den Export von Kontakten und Kalenderterminen im standardisierten vCard- bzw. iCal-Format. Mit einem cleveren Skript, das periodisch per Cron-Job läuft, kann man diese Daten abrufen und in die entsprechenden Nextcloud-Verzeichnisse importieren. Es gibt hierfür sogar Community-Ansätze und rudimentäre Plugins, die den Prozess automatisieren. Allerdings: Es handelt sich meist um einen unidirektionalen Fluss von RSS zur Nextcloud. Änderungen in der Nextcloud werden nicht zurück ins CRM gespiegelt. Für viele Use-Cases reicht das völlig aus.

Spannender wird es bei Dateien. Stellen Sie sich vor, ein Vertriebsteam member lädt im Kundenkontakt eine wichtige Offerte, eine Spezifikation oder das Protokoll eines Meetings in Nextcloud hoch – vielleicht in einem teamweit geteilten Ordner für diesen Kunden. Bisher war diese Datei im CRM-Kontext unsichtbar. Durch die Nutzung der RSS-API kann man nun einen Link zu dieser Nextcloud-Datei (oder, vorsichtiger, eine Kopie) automatisch als Aktivität im entsprechenden CRM-Kontakt hinterlegen. Das schafft Kontext und verhindert das mühsame Suchen. Nextcloud seinerseits kann über seine „External Storage“-App theoretisch Speicher aus anderen Quellen einbinden. Eine direkte Einbindung des RSS-Speichers ist zwar nicht vorgesehen, aber die App zeigt das prinzipielle Denken: Die Grenzen der Plattform sind porös.

Die Königsdisziplin ist die bidirektionale Synchronisation von bestimmten Datenpunkten. Etwa: Wenn in RSS ein Lead den Status „Auftrag gewonnen“ erreicht, soll automatisch in der Nextcloud ein neues Projektverzeichnis angelegt und das entsprechende Vertriebsteam als Mitglied hinzugefügt werden. Hierfür muss man in die Trickkiste greifen. Die Nextcloud-API, zusammen mit der RSS-API, macht es möglich. Man benötigt ein kleines Middleware-Skript, das in einer kontrollierten Umgebung läuft (ein kleiner Server, vielleicht sogar ein Container), die Ereignisse abfragt und Aktionen auslöst. Tools wie n8n, Zapier oder integromat können hier als visuelle Orchestrierungsschicht dienen und die Entwicklung vereinfachen. Die Erstellung solcher Workflows erfordert jedoch technisches Verständnis und eine klare Prozessdefinition.

Sicherheit und Datenschutz im hybriden Modell

Die hybride Architektur – Nextcloud on-premise, RSS in der Cloud – wirft berechtigte Fragen auf. Nextcloud wird oft gerade wegen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Wunsch nach Datensouveränität gewählt. Wie verträgt sich das mit einem cloudbasierten CRM, das personenbezogene Daten verarbeitet?

Die Antwort liegt in der Arbeitsteilung und Vertragsgestaltung. Really Simple Systems als Anbieter mit Hauptsitz im UK (post-Brexit) agiert als Datenverarbeiter im Sinne der DSGVO. Es ist unabdingbar, eine entsprechende Datenverarbeitungsvereinbarung (DPA) mit dem Anbieter abzuschließen. RSS bietet diese standardmäßig an. Die Server stehen in europäischen Rechenzentren (meist in Irland), was die datenschutzrechtliche Bewertung erleichtert. Die kritischen, hochsensiblen Dokumente verbleiben hingegen in der Nextcloud auf der eigenen Infrastruktur.

Ein praktischer Tipp: Minimieren Sie die Daten im CRM. Muss die vollständige Angebots-PDF mit allen technischen Details und Kalkulationen wirklich in RSS gespeichert werden? Oder reicht ein Link zur gesicherten Nextcloud, kombiniert mit den reinen Stammdaten (Kundenname, Ansprechpartner, Betreff, Datum) im CRM? Letzteres reduziert das Risiko und die Abhängigkeit. Die Nextcloud-Links können dabei so konfiguriert sein, dass sie nur für interne Nutzer mit entsprechender Authentifizierung funktionieren – ein einfacher, aber wirksamer Schutz.

Auf der Nextcloud-Seite muss die Authentifizierung für API-Zugriffe streng geregelt werden. Für automatisierte Skripte sollten keine normalen Benutzerkonten, sondern spezielle App-Tokens oder Nutzer mit minimalsten Berechtigungen verwendet werden. Die Nextcloud-Audit-Log-App sollte aktiviert sein, um alle Zugriffe auf Dateien und Systemänderungen nachvollziehen zu können. So behält man auch im automatisierten Austausch die Kontrolle.

Betrieb, Wartung und die Frage der Kosten

Der Betrieb einer produktiven Nextcloud-Instanz ist kein „Fire-and-Forget“-Projekt. Das muss jedem Administratoren klar sein. Regelmäßige Updates sind essentiell, nicht nur für neue Features, sondern vor allem für Sicherheitspatches. Das Nextcloud-Team hat einen guten Rhythmus gefunden und kommuniziert Sicherheitslücken verantwortungsvoll. Das Update-Script über das Kommandozeilen-Tool `occ` ist weitgehend zuverlässig, dennoch sollte vor jedem Major-Update ein Backup der Datenbank und des `data`-Verzeichnisses stehen.

Die Performance-Optimierung ist ein laufender Prozess. Das Auslagern von Cron-Jobs für Hintergrundaufgaben, die richtige Konfiguration des Web-Servers (Apache oder Nginx) und die Überwachung der Systemressourcen gehören zum Handwerkszeug. Tools wie Prometheus mit dem Nextcloud-Exporter oder auch einfache Skripte, die die `occ`-Befehle für Systemdiagnose abfragen, helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen.

Bei Really Simple Systems entfällt dieser Betriebsaufwand komplett. Das ist ein nicht zu unterschätzender Kostenvorteil. Die monatlichen Nutzergebühren sind fix und beinhalten Hosting, Wartung, Backups und Updates. Die Gesamtbetrachtung der Kosten (Total Cost of Ownership) fällt für die Kombination oft günstiger aus als eine All-in-One-Lösung von einem der großen Anbieter, wenn man die Personalkosten für die Nextcloud-Pflege realistisch einschätzt. Für viele Organisationen ist die Rechnung einfach: Lieber investieren wir die interne IT-Kapazität in die Pflege unserer Kern-Datenplattform (Nextcloud), als für die Wartung eines überdimensionierten CRM-Systems, das nur zu 20% genutzt wird.

Die Skalierbarkeit des Gesamtsystems ist hybrid. Nextcloud skaliert vertikal (leistungsfähigere Server) und kann mit Clustering-Lösungen (etwa für die Dateispeicherung mit S3-kompatiblem Object Storage oder GlusterFS) auch horizontal erweitert werden. RSS skaliert nahezu linear mit der Nutzerzahl – mehr braucht man in der Regel nicht. Bei sehr speziellen Anforderungen stößt RSS an Grenzen. Dann muss man abwägen: Entwickelt man Workarounds, nutzt die API für Erweiterungen, oder wechselt man das CRM? Dank der offenen Schnittstellen ist ein Wechsel jedoch kein unmögliches Unterfangen. Die Daten sind exportierbar.

Ausblick: Eine Blaupause für offene Unternehmens-IT?

Die Kombination Nextcloud und Really Simple Systems ist kein Zufallsprodukt. Sie steht exemplarisch für einen Trend, der sich abzeichnet: die bewusste Entkopplung von IT-Funktionen und die Wahl best-of-breed-Lösungen, die über APIs locker gekoppelt werden. Statt einem monolithischen ERP, das alles kann, aber nichts richtig, setzen pragmatische IT-Verantwortliche auf ein Netzwerk spezialisierter Tools.

Nextcloud agiert dabei immer häufiger als das zentrale Identity- und Data-Hub. Mit seiner Benutzerverwaltung, den Gruppenschnittstellen und dem zentralen Dateispeicher bietet es den Klebstoff für andere Systeme. Really Simple Systems ist ein perfekter Kandidat für ein solches Zusatzmodul: fokussiert, API-first und ohne imperialistische Ambitionen, die gesamte IT-Landschaft zu schlucken.

Die Entwicklung beider Plattformen gibt Anlass zur Zuversicht. Nextcloud investiert stark in Performance-Verbesserungen und Enterprise-Features wie skalierbare Backends und verbesserte Compliance-Tools. Really Simple Systems erweitert behutsam seine API und Funktionalität, ohne den Kern aus den Augen zu verlieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Integration in Zukunft noch einfacher wird, ist hoch.

Fazit: Wer eine unabhängige, datensouveräne und dennoch hochpraktische IT-Infrastruktur aufbauen möchte, sollte diese Kombination im Blick behalten. Sie beweist, dass die vielbeschworene „digitale Souveränität“ kein abstraktes politisches Konzept bleiben muss, sondern im Serverraum ganz konkret beginnt – mit der klugen Auswahl und Verbindung der richtigen Werkzeuge. Der Aufwand für Integration und Betrieb ist vorhanden, keine Frage. Doch die gewonnene Flexibilität, Kontrolle und langfristige Kostensicherheit wiegen diesen Aufwand für viele Organisationen mehr als auf. Es ist ein Weg jenseits der ausgetretenen Pfade, der aber zunehmend besser kartografiert wird.