Nextcloud: Die souveräne Kollaborationsplattform für Unternehmen

Nextcloud im Profi-Einsatz: Mehr als nur eine Dropbox-Alternative

Es ist still geworden um die großen Cloud-Speicheranbieter. Was einst als revolutionär galt, die schier unbegrenzte Ablage im digitalen Nirgendwo, entpuppt sich im Unternehmensalltag zunehmend als Problem. Datenschutzbedenken, anhaltende Abhängigkeiten von US-Konzernen und nicht zuletzt die Kostenfrage bringen viele IT-Verantwortliche zum Umdenken. In dieser Lage rückt eine Lösung immer stärker in den Fokus, die verspricht, die Kontrolle zurückzugewinnen: Nextcloud.

Dabei wäre es ein Fehler, Nextcloud lediglich als einen Klon von Dropbox & Co. abzutun. Zugegeben, die Dateisynchronisation und -freigabe bilden das Fundament. Doch das Open-Source-Projekt hat sich längst zu einer umfassenden Kollaborationsplattform gemausert, die in der Liga von Microsoft 365 oder Google Workspace mitspielen will – nur eben selbst gehostet. Die entscheidende Frage lautet: Hält sie diesem Anspruch in der Praxis stand?

Vom Code zur Plattform: Die Anatomie von Nextcloud

Technisch betrachtet ist Nextcloud eine Sammlung von PHP-Skripten, die auf einem Webserver wie Apache oder Nginx laufen. Als Datenspeicher kommt typischerweise eine SQL-Datenbank wie MySQL oder PostgreSQL zum Einsatz. Die eigentlichen Dateien landen dabei einfach im Dateisystem des Servers, was die Integration in bestehende Storage-Lösungen stark vereinfacht. Diese schlanke Architektur ist einer der Gründe für die hohe Flexibilität der Software.

Der eigentliche Clou aber steckt im App-Prinzip. Der Kern von Nextcloud bringt nur die grundlegenden Funktionen mit: Benutzerverwaltung, Dateimanagement, Synchronisation. Alles Weitere – von Kalendern und Kontakten über Video-Konferenzen bis hin zu Projektmanagement-Tools – wird über Apps nachgerüstet. Das erinnert ein wenig an ein Smartphone-Betriebssystem, bei dem der Basistelefonierer durch unzählige Apps zur multifunktionalen Kommandozentrale wird.

Ein interessanter Aspekt ist die Abspaltung vom ursprünglichen Projekt ownCloud. Seit der Fork im Jahr 2016 haben sich die Wege deutlich getrennt. Nextcloud hat eine deutlich dynamischere Community aufgebaut und bringt regelmäßiger neue Features auf den Markt. Während ownCloud sich stärker auf den Enterprise-Markt konzentriert, fährt Nextcloud eine Doppelstrategie aus kostenfreier Community-Edition und kommerziellen Enterprise-Features. Diese Strategie scheint aufzugehen, wie die stetig wachsende Verbreitung zeigt.

Im Praxistest: Alltag mit einer selbstgehosteten Cloud

Die Theorie klingt verheißungsvoll. Doch wie schlägt sich Nextcloud im harten IT-Alltag? Die Erfahrungen aus verschiedenen Einsatzszenarien zeichnen ein differenziertes Bild.

Für kleine Teams und mittelständische Unternehmen, die eine einfache, aber souveräne Lösung für die Dateizusammenarbeit suchen, ist Nextcloud oft ein Volltreffer. Die Einrichtung auf einem Standard-Webhosting-Paket oder einem eigenen V-Server ist in wenigen Stunden erledigt. Die Clients für Desktop und Mobile sind ausgereift und stabil. Die Dateisynchronisation funktioniert zuverlässig, auch bei größeren Dateimengen. Ein Administratior eines Architekturbüros berichtet: „Seit wir Nextcloud einsetzen, sind die endlosen E-Mail-Ketten mit Dateianhängen Geschichte. Wir arbeiten jetzt alle auf der gleichen Datenbasis, ohne dass ich mir Sorgen um die Datenschutz-Grundverordnung machen muss.“

Anders sieht es aus, wenn die Plattform im großen Maßstab für hunderte oder tausende Nutzer deployed werden soll. Hier offenbaren sich die Tücken der eigenen Infrastruktur. Nextcloud ist, bei aller Optimierung, eine Webanwendung mit einer klassischen LAMP-Stack-Architektur. Unter Last muss diese Architektur sorgfältig getunt werden. Caching mit Redis, optimierte PHP-Konfigurationen und leistungsfähige Backend-Speicher sind dann keine Option mehr, sondern Notwendigkeit. „Out of the box skaliert Nextcloud nicht linear“, gibt ein IT-Leiter eines mittelgroßen Industrieunternehmens zu bedenken. „Wir haben mehrere Iterationen gebraucht, bis die Performance für unsere 800 Mitarbeiter stimmig war. Heute läuft sie aber hervorragend.“

Die versteckten Fallstricke

Ein wiederkehrendes Thema in Erfahrungsberichten ist die Performance der Benutzeroberfläche. Gerade bei umfangreichen Dateisammlungen kann das Web-Interface spürbar träge werden. Die Suchfunktion, obwohl stetig verbessert, kommt bei sehr großen Datenmengen manchmal an ihre Grenzen. Hier zeigt sich der Nachteil gegenüber nativen Desktop-Anwendungen.

Ein weiterer Punkt ist die Wartung. Nextcloud hat einen relativ aggressiven Release-Zyklus. Mehrmals im Jahr erscheinen größere Versionen mit neuen Features und wichtigen Sicherheitsupdates. Das bedeutet: Wer Nextcloud produktiv betreibt, muss ein regelmäßiges Update-Management etablieren. Die automatischen Update-Benachrichtigungen sind ein zweischneidiges Schwert. Einerseits sind sie nützlich, andererseits können sie bei schlecht geplanter Wartung zu Produktivitätsausfällen führen. „Wir haben uns für ein monatliches, geplantes Update-Fenster entschieden“, erzählt ein Systemadministrator eines Forschungsinstituts. „So bleiben wir aktuell, ohne die Nutzer ständig mit Neuerungen zu überraschen.“

Sicherheit: Ein Schloss mit vielen Schlüsseln

In Zeiten zunehmender Cyberangriffe ist die Sicherheit einer Kollaborationsplattform ein entscheidendes Kriterium. Nextcloud schneidet hier grundsätzlich gut ab. Die Entwickler legen einen starken Fokus auf Sicherheit, bieten ein eigenes Bug-Bounty-Programm an und veröffentlichen regelmäßig und transparent Sicherheitsbulletins.

Die Zwei-Faktor-Authentifizierung ist fest integriert und einfach zu aktivieren. Für den verschlüsselten Datentransport ist TLS selbstverständlich. Spannender ist die Frage der Verschlüsselung ruhender Daten. Nextcloud bietet hier eine serverseitige Verschlüsselung an. Diese schützt jedoch primär vor dem direkten Auslesen der Festplatten. Da der Server selbst die Schlüssel verwaltet, bietet sie keinen Schutz vor kompromittierten Server-Zugängen. Für maximale Sicherheit müsste man auf Client-seitige Verschlüsselung setzen, die dann aber Komforteinbußen bei der Nutzung, insbesondere beim Web-Interface, mit sich bringt.

Dabei zeigt sich ein typisches Dilemma: Der Komfort-Features wie die kollaborative Textbearbeitung oder die Vorschau-Funktionen sind ohne Entschlüsselung auf dem Server nicht möglich. Nextcloud geht hier einen pragmatischen Mittelweg. Es bietet die Werkzeuge für hohe Sicherheit, überlässt die konkrete Ausgestaltung aber dem Administrator. Das erfordert Expertise und ein klares Sicherheitskonzept.

Die erweiterte Welt der Nextcloud-Apps

Die wahre Stärke von Nextcloud entfaltet sich erst durch sein Ökosystem an Apps. Dieses Modell ermöglicht es, die Plattform exakt an die betrieblichen Anforderungen anzupassen.

Für viele Unternehmen sind die Groupware-Apps „Kalender“ und „Kontakte“ der Einstieg in die erweiterte Nutzung. Sie ersetzen oft bestehende, isolierte Lösungen und integrieren sich nahtlos mit Clients wie Outlook, Thunderbird oder mobilen Geräten via Standard-Protokollen (CalDAV, CardDAV). Die Funktionalität ist solide, wenn auch nicht ganz so ausgereift wie bei spezialisierten Groupware-Lösungen wie Kopano oder Zimbra. Für den alltäglichen Gebrauch reicht es aber in den meisten Fällen aus.

Ein Game-Changer war die Einführung von „Talk“, der integrierten Video-Konferenz-Lösung. In Zeiten von Remote-Arbeit ist diese Funktion Gold wert. Talk ist eine WebRTC-basierte Lösung, die ohne zusätzliche Software im Browser funktioniert. Sie kann selbst gehostet werden, was sie für Unternehmen mit strengen Compliance-Vorgaben äußerst attraktiv macht. Der Funktionsumfang – Bildschirmfreigabe, Breakout-Räume, Moderation – hält mit etablierten Lösungen wie Zoom oder Teams mit. Allerdings: Der Betrieb einer leistungsfähigen Talk-Instanz erfordert erhebliche Server-Ressourcen und eine erstklassige Netzwerkanbindung. Hier sind die Betriebskosten nicht zu unterschätzen.

Von Aufgaben bis zu Passwort-Managern

Die Bandbreite der verfügbaren Apps ist beeindruckend. „Deck“ bietet ein Kanban-Board für agiles Projektmanagement, „Notes“ einen einfachen Markdown-Editor für Notizen. „Mail“ integriert einen E-Mail-Client direkt in die Oberfläche. Sogar ein Passwort-Manager („Passwords“) und ein Formular-Builder („Forms“) sind verfügbar.

Nicht zuletzt ist die OnlyOffice- oder Collabora-Online-Integration ein zentraler Baustein für viele Unternehmen. Diese Apps erlauben die kollaborative Bearbeitung von Office-Dokumenten direkt im Browser, ähnlich wie Google Docs. Die Integration ist gut gelungen, fühlt sich in der Bedienung aber manchmal etwas weniger flüssig an als die Pendants der Cloud-Giganten. Für Standard-Dokumente ist sie jedoch mehr als ausreichend.

Die Kehrseite der App-Vielfalt ist die Qualitätssicherung. Während die Kern-Apps und die offiziellen Apps von Nextcloud GmbH sehr stabil laufen, kann die Qualität von Community-Apps stark schwanken. Vor der Installation in einer Produktivumgebung ist ein ausgiebiger Test unbedingt empfehlenswert.

Nextcloud versus die Konkurrenz: Ein ungleicher Kampf?

Vergleiche mit kommerziellen Anbietern wie Microsoft 365 oder Google Workspace sind unvermeidbar. Nextcloud verliert diesen Vergleich in einigen Punkten, gewinnt ihn aber in anderen, entscheidenden.

Der offensichtlichste Nachteil ist der Komfort. Microsoft und Google bieten eine nahtlos integrierte, unglaublich stabile und mühelos skalierende Suite an. Der Betrieb liegt in deren Händen. Bei Nextcloud liegt die Verantwortung für Betrieb, Performance, Sicherheit und Backups vollständig beim eigenen IT-Team. Das ist ein erheblicher Aufwand, der in der Gesamtkostenbetrachtung nicht unterschätzt werden darf.

Der ebenso offensichtliche Vorteil ist die Souveränität. Daten verbleiben im eigenen Rechenzentrum oder in einer Cloud der Wahl, die den eigenen rechtlichen Rahmenbedingungen entspricht. Es gibt keine Überraschungen bei der Abrechnung, keine unerwarteten Änderungen der AGB und keine Abhängigkeit von der strategischen Ausrichtung eines US-Konzerns. Für Behörden, Bildungseinrichtungen, Gesundheitswesen und viele mittelständische Unternehmen in Europa wiegt dieses Argument extrem schwer.

Interessant ist der Vergleich mit anderen Self-Hosted-Lösungen. Seafile zum Beispiel gilt als die schlankere und performantere Lösung, wenn es nur um Dateisynchronisation geht. Doch ihm fehlt das umfassende Ökosystem. ownCloud, der direkte Vorgänger, hat an Marktbedeutung verloren und scheint technisch leicht hinterherzuhinken. Für reine File-Sharing-Zwecke mag Seafile die bessere Wahl sein. Für eine komplette Kollaborationsplattform ist Nextcloud derzeit konkurrenzlos im Open-Source-Bereich.

Betriebsszenarien: Vom Raspberry Pi zur Hochverfügbarkeits-Cluster

Eine der größten Stärken von Nextcloud ist seine Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Infrastrukturen.

Auf der einen Seite des Spektrums steht der Mini-Server im Heimoffice oder Kleinbetrieb. Ein Raspberry Pi 4 mit einer großen USB-Festplatte reicht aus, um eine funktionierende Nextcloud-Instanz für eine Handvoll Nutzer zu betreiben. Die Einrichtung ist dank vorgefertigter Images wie „NextcloudPi“ oder Docker-Containers denkbar einfach. Für diesen Einsatzbereich ist Nextcloud nahezu perfekt.

Auf der anderen Seite stehen Unternehmenslösungen mit tausenden von Nutzern. Hier kommt man um eine skalierbare Architektur nicht herum. Glücklicherweise bietet Nextcloud hierfür alle notwendigen Hebel. Die Software unterstützt die horizontale Skalierung, indem verschiedene Komponenten aufgeteilt werden können. Der Webserver-Layer kann von der Datenbank und dem Dateispeicher entkoppelt werden. Letzterer kann auf hochskalierbare Object-Storage-Lösungen wie AWS S3 oder kompatible Systeme (MinIO, Ceph) ausgelagert werden.

Für Hochverfügbarkeit können mehrere Nextcloud-Instanzen hinter einem Load-Balancer betrieben werden. Voraussetzung ist ein geteilter Sitzungsspeicher (z.B. Redis Cluster) und ein gemeinsam genutztes Dateisystem oder ein konfigurierter externer Speicher. Solche Setup sind anspruchsvoll in der Implementierung und Wartung, aber machbar. Sie beweisen, dass Nextcloud auch für anspruchsvolle Unternehmensumgebungen tauglich ist.

Die Gretchenfrage: Kosten und Nutzen

Ist Nextcloud am Ende günstiger als eine kommerzielle Cloud-Lösung? Die Antwort ist, wie so oft: Es kommt darauf an.

Die Software selbst ist kostenfrei. Das ist der größte Irrtum, den man machen kann. Die wirklichen Kosten verstecken sich in der Infrastruktur und dem Betrieb. Server-Hardware, Stromkosten, Bandbreite, Backup-Lösungen und vor allem die Arbeitszeit der Administratoren summieren sich schnell zu einem signifikanten Betrag.

Für ein Unternehmen mit 50 Mitarbeitern könnten die jährlichen Gesamtkosten für eine robuste, selbst gehostete Nextcloud-Lösung durchaus im mittleren vierstelligen Bereich liegen. Dem gegenüber stehen die Abokosten für Microsoft 365 oder Google Workspace, die transparent und vorhersehbar sind.

Der wirtschaftliche Vorteil von Nextcloud entfaltet sich erst bei größeren Nutzerzahlen oder wenn spezifische Anforderungen die kommerziellen Lösungen ausschließen. Zudem gibt es die Option, Nextcloud als managed Service von einem Hosting-Provider zu beziehen. Das kombiniert die Souveränität der Software mit dem Komfort eines gemanagten Services und kann eine gute Mittelstraße sein.

Fazit: Eine ausgereifte Plattform mit Ecken und Kanten

Nextcloud hat sich von einer einfachen File-Sync-Lösung zu einer ernstzunehmenden Kollaborationsplattform entwickelt. Die Erfahrungen in der Praxis zeigen ein klares Bild: Für Unternehmen, die die Hoheit über ihre Daten zurückgewinnen wollen, ist Nextcloud derzeit die beste verfügbare Open-Source-Option.

Sie ist keine Allzweckwaffe, die alle Probleme löst. Die Einrichtung und Wartung erfordert IT-Kompetenz. Die Performance muss bei großen Installationen aktiv gemanagt werden. Und nicht jede App hält, was sie verspricht.

Doch die Vorteile wiegen diese Nachteile für viele auf. Die Unabhängigkeit, die Flexibilität, die Möglichkeit, die Plattform exakt an die eigenen Bedürfnisse anzupassen und die lebendige Community sind unschlagbare Argumente. Nextcloud ist kein Dropbox-Ersatz mehr. Es ist eine strategische Entscheidung für eine souveräne, digitale Infrastruktur.

Für IT-Entscheider bedeutet das: Wer über Nextcloud nachdenkt, sollte nicht fragen „Können wir das technisch?“, sondern „Sind wir bereit, den Betrieb einer kritischen Infrastruktur zu übernehmen?“. Wenn die Antwort Ja lautet, steht einer erfolgreichen Implementierung kaum etwas im Wege. Die Werkzeuge sind da, sie sind ausgereift und sie funktionieren. Man muss sie nur geschickt einzusetzen wissen.